Der Decoy Effekt: Psychologisches Pricing mit Köderlogik

Veröffentlicht am Mai 11, 2023
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Decoy Effekt mit Weinflaschen

Ein Abend im Restaurant, die Weinkarte in der Hand. Drei Optionen stehen zur Wahl:

  • Hauswein – 18 €
  • Chianti Classico – 33 €
  • Pinot Grigio Riserva – 36 €

Der Hauswein wirkt funktional. Der Riserva klingt nach besonderem Genuss, ist aber auch der teuerste.

Dann der Chianti. Hochwertig, aber deutlich günstiger als der Spitzenwein.

Die Entscheidung fällt leicht: Der Chianti scheint das beste Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten.

Was hier passiert, ist kein Zufall. Es ist ein psychologischer Mechanismus, der unsere Entscheidung elegant lenkt, bekannt als Decoy Effekt.

Decoy Effekt mit Weinflaschen

Das Prinzip dahinter:
Eine bewusst platzierte „Köder-Option“ – in diesem Fall der teuerste Wein – macht eine andere Option attraktiver, ohne selbst häufig gewählt zu werden. Wir entscheiden nicht absolut, sondern relativ: im Vergleich wirkt der Chianti plötzlich besonders vernünftig.

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Was ist der Decoy Effekt? Einfach erklärt

Der Decoy Effekt beschreibt ein psychologisches Phänomen, bei dem die Hinzunahme einer gezielt gestalteten dritten Option die Wahrnehmung der anderen beiden verändert und dadurch die Entscheidungswahrscheinlichkeit verschiebt.

Der Trick: Die zusätzliche Option („Decoy“) ist klar unterlegen, aber nur im Vergleich zu einer bestimmten Alternative. Dadurch erscheint diese dominierende Option auf einmal besonders attraktiv.

Beispiel:

Option Preis Leistung Wirkung
A: Basis
10 €
1 Feature
Zu wenig
B: Decoy
16,50 €
3 Features
Irritierend nah an C, aber schlechter
C: Premium
18 €
5 Features
Guter Deal
Ohne Option B wirken A und C gleichwertig. Mal spart man Geld, mal bekommt man mehr Leistung. Mit dem Decoy (B) kippt die Balance: C erscheint plötzlich als „no-brainer“. Genau das ist der Effekt.

Fachlich formuliert:

Der Decoy Effekt funktioniert, wenn eine Alternative asymmetrisch dominiert wird: Sie ist einer Option in allen Punkten unterlegen, einer anderen aber nicht direkt vergleichbar. Diese gezielte Unausgewogenheit aktiviert unsere Tendenz, vergleichend statt absolut zu entscheiden.

Abgrenzung zu verwandten Effekten:

  • Anchoring: Ein Ausgangswert (z. B. hoher Preis) beeinflusst unsere Einschätzung aller folgenden Optionen
  • Framing: Wie Informationen präsentiert werden (positiv/negativ), beeinflusst unsere Entscheidung
  • Decoy: Eine zusätzliche Option verändert die Attraktivität bestehender Alternativen

Der Unterschied: Der Decoy Effekt braucht mindestens drei Optionen und lebt von einem gezielten Vergleich, nicht von bloßem Kontext.

Die Psychologie dahinter: Warum der Köder unser Gehirn austrickst

Warum funktioniert der Decoy-Effekt so zuverlässig, selbst bei erfahrenen Entscheidern? Die Antwort liegt in der Art, wie unser Gehirn komplexe Informationen verarbeitet: schnell, vergleichend und oft irrational.

System 1 vs. System 2 - die innere Abkürzung

Der Psychologe Daniel Kahneman unterscheidet zwischen zwei Denkmodi:

  • System 1: Schnell, intuitiv, emotional
  • System 2: Langsam, logisch, anstrengend

Preisentscheidungen im Alltag, etwa bei Abos, Menüoptionen oder Bundles laufen fast immer über System 1. Unser Gehirn sucht nach einfachen Heuristiken: Was wirkt wie ein guter Deal? Wo verliere ich am wenigsten? Genau hier greift der Decoy Effekt, weil er das Verhältnis zwischen den Optionen gezielt manipuliert.

Kognitive Verzerrungen

Der Decoy Effekt ist eine Art Super-Kombi mehrerer psychologischer Verzerrungen:

  • Kontrasteffekt: Eine Option wirkt attraktiver, wenn sie neben einer offensichtlich schlechteren steht
  • Vergleichsheuristik: Wir bevorzugen Optionen, die sich klar von anderen abheben
  • Verlustaversion: Lieber etwas vermeintlich Besseres nehmen, um keinen Nachteil zu riskieren

Kurz gesagt: Unser Gehirn sucht nach relativer Überlegenheit, nicht nach objektiver Qualität.

Das berühmte Beispiel von Dan Ariely

Ein Klassiker: Der US-Ökonom Dan Ariely untersuchte die Preisstruktur des Economist-Abos:
Option Preis Inhalt
Online-Only
59 $
Nur digital
Print-Only (Decoy)
125 $
Nur Print
Print + Online
125 $
Kombi-Angebot

Ergebnis:

  • Ohne den „Print-Only“-Decoy entschieden sich die meisten für das günstigere Online-Abo
  • Mit Decoy: 84 % wählten plötzlich das Kombi-Abo
Der Decoy (teuer, aber schlechter als die Kombi) machte die umfassendste Option zur gefühlt klügsten Wahl.

"We don’t know what we want until we see it in context."

So wird der Decoy Effekt im Marketing eingesetzt: Gezielt & wirkungsvoll

Der Decoy Effekt ist kein Zufallstreffer, sondern ein strategisches Muster in der Preisgestaltung. Er hilft Unternehmen, eine bestimmte Option besonders attraktiv erscheinen zu lassen und zwar durch den gezielten Vergleich mit einer unattraktiven „Köder“-Alternative.

Dabei gibt es zwei dominante Varianten, wie der Effekt eingesetzt wird:

Variante 1: Die mittlere Option wird als „vernünftige Wahl“ positioniert

Premium ist überzogen, Basic zu mager -> Ziel: Kunden sollen sich vernünftig fühlen, nicht geizig, nicht verschwenderisch. Die mittlere Option wird als kluger Mittelweg inszeniert.

Beispiel: Streaming-Abo

Paket Preis Inhalt
Basic
5,99 €
SD, 1 Gerät
Standard
9,99 €
HD, 2 Geräte
Premium (Decoy)
17,99 €
HD, 6 Geräte, kaum relevant für Einzelpersonen

Wirkung: Standard wirkt fair und angemessen. Durch den teuren Premium-Decoy wird der mittlere Plan zur gefühlten Balance-Wahl.

👉 Häufig in: Massenprodukten, digitalen Services, UX-Optimierung

Variante 2: Die teuerste Option wird strategisch hervorgehoben

Decoy ist ähnlich teuer, aber deutlich schlechter -> Ziel: Den Aufpreis zur Top-Version als vernünftige Investition erscheinen lassen, obwohl sie objektiv teurer ist.

Beispiel: Software-Pakete

Paket Preis Features
Basic
10 €
3 Funktionen
Pro (Decoy)
18 €
5 Funktionen
Business
21 €
10 Funktionen + Service

Design-Tipp: Visualisiere Unterschiede klar

  • Preisabstand sichtbar machen
  • Unattraktive Option bewusst „blass“ darstellen (Design, Text, Platzierung)
  • CTA bei Zieloption visuell hervorheben

Der Decoy Effekt funktioniert nicht durch Überredung, sondern durch Vergleich. Gute Struktur ersetzt hier Überredung.

Grenzen, Kritik & ethische Überlegungen

Der Decoy Effekt ist mächtig – aber nicht grenzenlos. In bestimmten Kontexten funktioniert er schlechter oder gar nicht. Und wie bei vielen psychologischen Techniken stellt sich die Frage: Wo endet clevere Nutzerführung und wo beginnt Manipulation?

🚫 Wann der Decoy Effekt versagt

1. Preisvergleichs-Portale & transparente Märkte
Auf Plattformen wie Idealo, Check24 oder Amazon funktioniert der Decoy kaum – weil die Optionen nicht von einer einzigen Marke gesteuert werden. Nutzer:innen sortieren nach Preis oder Bewertung, nicht nach Kontext oder relativer Attraktivität.

2. Preissensible Zielgruppen
Wenn der Preis das Hauptkriterium ist, z. B. bei Studierenden, Discount-Märkten oder in Low-Involvement-Kategorien, wird der Decoy oft ignoriert. Hier zählt: Absoluter Preis schlägt relative Logik.

3. Zu offensichtliche Köder
Wenn der Decoy zu durchschaubar ist – etwa technisch klar unterlegen oder plakativ teuer –, verliert er seine Wirkung. Der Effekt lebt vom subtilen Vergleich, nicht vom offensichtlichen Trick.

⚖️ Ethik-Frage: Entscheidungsunterstützung oder Täuschung?

Der Decoy Effekt ist eine Form des Nudging. Er verändert die Wahlumgebung, ohne Optionen zu entfernen. Das ist per se nicht unethisch, aber es wird kritisch, wenn:

  • Nutzer nicht nachvollziehen können, warum sie sich wie entscheiden
  • Minderwertige Optionen bewusst überbetont oder „falsch gut“ dargestellt werden
  • Preistransparenz untergraben wird

🧭 Fairness in UX & Pricing: Wo liegt die Grenze?

Fraglich / Graubereich Akzeptabel / Fair
Decoy ist bewusst schlecht und irreführend
Decoy ist realistisch, aber bewusst unterlegen
Ziel ist rein umsatzgetrieben
Ziel ist Entscheidungshilfe mit Mehrwert
Keine Transparenz über Unterschiede
Klar kommunizierte Features & Unterschiede
Druck entsteht durch Framing
Nutzer behalten Kontrolle & Klarheit

Tipp für Marketer: Setzt Decoys nicht als Trick ein, sondern als Entscheidungshilfe, wenn User unsicher sind.

Anwendung: 5 klare Empfehlungen

Der Decoy Effekt ist kein Zufallsfund, sondern ein gezieltes Tool. Wenn du ihn nutzen willst, brauchst du mehr als nur ein „drittes Produkt“. Entscheidend sind Struktur, Positionierung und psychologische Feinabstimmung.

Hier sind 5 praxisnahe Empfehlungen, mit denen du Decoy-Logiken effektiv – und verantwortungsvoll – einsetzen kannst:

✅ 1. Definiere zuerst dein Zielprodukt

Willst du:
  • Die mittlere Option bevorzugt positionieren? Dann positioniere das Decoy überteuert und überladen
  • Die teuerste Option durch Vergleich attraktiver machen?? Dann gestalte das Decoy nahe am Preis, aber klar schlechter

Tipp: Arbeite rückwärts. Nicht: „Was könnte ich als Köder einsetzen?“, sondern: „Welche Option soll am attraktivsten wirken?“

✅ 2. Halte den Preisabstand bewusst knapp

Der Decoy funktioniert nur, wenn der Preisunterschied gefühlt klein, der qualitative Unterschied aber deutlich ist.

Faustregel: Max. 10 – 20 % Preisunterschied zum Zielprodukt, sonst kippt die Vergleichswirkung.

✅ 3. Kommuniziere Features klar & vergleichbar

Je unklarer die Unterschiede, desto schlechter funktioniert der Effekt.

  • Nutze Bulletpoints, Icons, Farben
  • Stelle Nutzen direkt nebeneinander
  • Vermeide leere Werbefloskeln. Fokussiere verstehbaren Mehrwert

✅ 4. Teste visuelle Platzierung & Labels

UX-Design ist entscheidend. Oft hilft:

  • Zieloption zentral platzieren
  • „Meistgewählt“ oder „Beliebteste Wahl“ kennzeichnen
  • Decoy bewusst „ausblenden“: blasseres Design, kleinerer Button

🎯 A/B Testing Tipp: Ändere nur ein Element pro Testlauf – z. B. Preisabstand, Decoy-Position oder Labeling

✅ 5. Kombiniere den Decoy Effekt mit anderen psychologischen Prinzipien

Der Effekt verstärkt sich, wenn du ihn mit weiteren psychologischen Prinzipien verbindest:

  • Anchoring: Setze eine hohe Preisankeroption voran
  • Social Proof: Zeige, dass viele Nutzer:innen die Zieloption wählen
  • Verlustaversion: Betone, was bei der Decoy-Option fehlt
  • Framing: Verpacke Features so, dass der Vergleich intuitiv wird

Beispiel: „Nur 2 € mehr, aber doppelt so viel Leistung!“

Fazit: Der Decoy Effekt als strategischer Game-Changer

Ob auf der Weinkarte, im SaaS-Pricing oder auf deiner letzten Abo-Landingpage: Der Decoy Effekt begegnet uns häufiger, als wir denken. Und wenn er richtig eingesetzt wird, verändert er nicht nur Kaufentscheidungen, sondern das gesamte Erleben eines Angebots.

Was ihn so wirkungsvoll macht, ist nicht Täuschung, sondern strukturierte Vergleichbarkeit. Menschen entscheiden selten absolut, sondern im Verhältnis. Der Decoy schafft genau diesen Rahmen – subtil, aber gezielt.

Doch mit großer Wirkung kommt auch Verantwortung: Wer mit Decoys arbeitet, sollte nicht nur auf Conversion schauen, sondern auf Transparenz, Fairness und Nutzerorientierung. Denn eine gut designte Entscheidungsarchitektur hilft, eine manipulativ konstruierte schadet langfristig der Marke.

💡 Reflexionsfrage zum Abschluss: Wann hast du dich zuletzt für etwas entschieden und später gemerkt, dass es „nur im Vergleich“ so attraktiv wirkte?

Weitere psychologische Trigger

Halo Effekt

Halo-Effekt

Der Halo-Effekt sorgt dafür, dass eine einzelne Qualität das gesamte Bild beeinflusst. 

Zum Artikel über den Halo-Effekt.

Scarcity

Das Gefühl, etwas könnte bald nicht mehr verfügbar sein, weckt Begehren.

Zum Artikel über Scarcity (Verknappung).

Dunning-Kruger-Effekt

Der Effekt beschreibt, wie Menschen mit wenig Erfahrung ihr Können überschätzen.

Zum Artikel über den Dunning-Kruger-Effekt.

Visuelles Beispiel des Mere Exposure Effektes

Mere-Exposure-Effekt

Je häufiger wir etwas sehen, hören oder erleben, desto mehr mögen wir es.

Zum Artikel über den Mere-Exposure-Effekt.

Primacy-Effekt

Die erste Information bleibt am stärksten im Gedächtnis und prägt unsere Wahrnehmung.

Erfahre hier mehr über den Primacy-Effekt.

Nudging

Nudging nutzt kleine Anreize, um das Verhalten subtil zu lenken, ohne Entscheidungsfreiheit einzuschränken.

Zum Artikel über Nudging.

Diderot-Effekt

Der Effekt beschreibt, wie ein neuer Kauf das Verlangen weckt, weitere passende Produkte zu kaufen.

Zum Artikel über den Diderot-Effekt.

Paradox of Choice

Viele Optionen können überwältigend wirken. Wenige Optionen vereinfachen die Entscheidung.

Zum Artikel über den Paradox of Choice.

framing Effekt

Framing-Effekt

Die Art, wie Informationen präsentiert werden, formt maßgeblich die Wahrnehmung.

Erfahre hier mehr über den Framing-Effekt.

Affektheuristik

Schnelle Entscheidungen werden oft von starken Gefühlen statt von rationalen Überlegungen geleitet.

Zum Artikel über die Affektheuristik.

Social Proof

Social Proof

Menschen orientieren sich häufig am Verhalten anderer, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. 

Endowment-Effekt

Menschen neigen dazu, Dingen einen höheren Wert zuzuschreiben, nur weil sie in ihrem Besitz sind.

Decoy-Effekt

Wenn uns eine unattraktive Option präsentiert wird, wirkt die attraktivere Alternative noch verlockender

Zum Artikel über den Decoy-Effekt.

framing Effekt

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Die Art, wie Informationen präsentiert werden, formt maßgeblich die Wahrnehmung.

Erfahre hier mehr über den Framing-Effekt.

New

Wenn uns eine unattraktive Option präsentiert wird, wirkt die attraktivere Alternative noch verlockender

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Steffen Schulz
Autorenbild
CPO Varify.io®
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